Sonntag, 9. November 2014

Kein Verständnis für dein Frau-sein

Gestern war mal wieder solch ein besonderer Abend. Nach 18 Jahren haben mein Cousin und meine Wenigkeit uns endlich einmal wieder getroffen. Wir hatten uns aus den Augen verloren, als wir erwachsen wurden und jeder seinen eigenen Weg eingeschlagen hat. 18 Jahre in denen sich jeder von uns gewaltig verändert hat. Im Vorfeld hatte ich per Mail schon Kontakt mit seiner Verlobten, welche ich noch nicht persönlich kannte. Sie schrieb mir ... "Du solltest Dich aber vielleicht darauf gefasst machen, das B. kein Verständnis für dein Frau-sein hat".

Ups, ich antwortete mit den Worten ... "Ist mir egal, ob er Verständnis aufbringt oder auch nicht. Ich lasse mich von Niemanden vom Frau-sein abbringen. Ich habe mich über 40 Jahre verstellt und versteckt, was dieses Thema angeht. Zu kurz ist das Leben, um das ich darauf verzichten werde".

Hmm ... sind ja nicht gerade perfekte Voraussetzungen für ein erstes Treffen, nach so langer Zeit. Aber ich habe mich dazu entschieden und nun muss ich sehen wie sehr ich zu meiner Entscheidung stehe, wie werde ich mich verhalten ? Wie wird sich mein Cousin nach so vielen Jahren verhalten ? Vielleicht wird es ja auch nur ein kurzer Besuch ...

Nun gut ... gestern war es dann soweit, unverhofft ergab sich die Gelegenheit zu einem ersten Treffen nach über 18 Jahren. Die Verlobte von meinem Cousin und ich standen per Mail im Kontakt. Wir verabredeten uns für den Abend und sie schrieb mir noch folgendes ... "Vielleicht kannst du dann so gut sein und B. beim ersten Zusammentreffen nach so vielen Jahren als Mann zu begegnen. Ich denke er muss sich langsam daran gewöhnen, dass du jetzt - zumindest in seinen Augen - mehr Frau als Mann bist. Er hat Angst davor, dich sofort als Frau zu treffen. "Ich will meinen alten Kumpel wieder haben", war seine Aussage. Ich denke, du kannst das verstehen".

Natürlich kann ich das verstehen. Ich meine ... ich wünsche mir von meiner Umwelt, das sie mich so akzeptiert wie ich nun bin. Ich muss auch meine Umwelt verstehen und in diesem Fall sollte ich meinem Cousin entgegen kommen. Also bin ich auf seinen Wunsch eingegangen und war ganz der alte Kumpel ;-)

Gegen 19:00 Uhr klingelte es dann an unserer Haustür und meine Frau und ich empfingen meinen Cousin und seine Verlobte, nach über 18 Jahren. Ist schon ein komisches Gefühl, sich nach so vielen Jahren wieder zu sehen. Sichtlich aufgeregt und verunsichert begrüßten wir uns ... eine surreale Situation, wie ich sie überhaupt nicht mag, wir sind uns fremd geworden.

Als wir uns dann gegenüber saßen konnte ich doch eine Art Erleichterung bei meinem Cousin feststellen, das ich nicht im Röckchen vor ihm sitze. Langsam und vorsichtig wurde die neue Situation abgetastet und allmählich nährten wir uns auch dem Thema Tinka an.

Es ist sehr interessant, welche Gedanken sich andere über dieses Thema machen. Es sind ganz andere Ängste und Gedanken, wir ich sie mir z.B. mache. Während ich mir Gedanken machen würde wie etwa ... passt mein Outfit zusammen, sitzen meine Haare, ist mein Passing perfekt u.s.w. ... sind die Gedanken bei meinem Cousin ganz andere.

Es wird klar das ich hier erst einmal Aufklärungsarbeit leisten muss. Die üblichen Erklärungen folgen wie ... nein ich bin nicht schwul und stehe jetzt auf Männer. Oder nein ich bin nicht wie Olivia Jones und nein ich laufe auch nicht durch die Straßen Berlins mit rosa Tütü und pinkfarbener Perücke.

Aber unsere Unterhaltung brachte mich zum nachdenken.

Wir redeten darüber wie es wohl sei, wenn ich als Frau mit meinem Cousin um die Häuser ziehen würden. Er hatte Schwierigkeiten sich vorzustellen wie es wohl wäre, wenn wir nun unterwegs, in der U-Bahn z.B. angepöbelt werden würden. Aus längst vergangenen Tagen wissen wir, das wir solche dummen Situationen magisch anziehen. Er fragte mich ... wie soll ich mich dann verhalten ? Würden wir wie früher sofort auf Konfrontation gehen oder müsse er mich die Frau nun als Mann verteidigen ?

Verstehst Du lieber Leser, das sind Gedanken die ich mir bisher nicht gestellt habe, welche aber durchaus berechtigt sind. Durch meine Rolle als Frau bringe ich meine Begleitung in eine völlig andere Situation. Ich finde den Gedanken schon auch niedlich ... mein Cousin, mein Beschützer. Positiv für mich aber um einiges anstrengender für meinen Cousin, in diesem Fall.

Oder auch die Gedanken darum, wie er in der Öffentlich mit mir sprechen oder sich mir gegenüber verhalten solle. Er fragte ob es mich verletzen würde, wenn die ganze Sache auch etwas lockerer anginge, wenn wir z.B. eingehakt über die Strasse gingen und rumalberten.

Eingehakt über die Strasse ... im Klartext ... er hatte Schwierigkeiten sich vorzustellen mich auch als Frau zu behandeln. Ob ich dann verletzt oder beleidigt wäre und er mir dadurch das er mich weiblich behandelt das Gefühl vermitteln würde, das er mich und die ganze Sache nicht ernst nimmt, waren seine Ängste.

Hmm ... kurz nachgedacht ... nun er würde mich ganz selbstverständlich wie eine Frau behandeln wollen, schon mal supertoll denn was will ich mehr ?
Warum sollte ich jetzt verletzt sein ? Er behandelt mich wie eine Frau und ist sich gleichzeitig unsicher darüber ob er mich dadurch als Mann beleidigen würde und er mir dadurch vermitteln würde das er mich nicht ernst nimmt.

Puh, ganz schön viel Hirnsalat, also an was für komische Dinge denkt mein Cousin denn da ? Sind das die Probleme über welche sich meine Umwelt nun Gedanken macht ?

Komisch an solche Dinge hatte ich noch nie gedacht. Ich habe bisher hauptsächlich über mich, über meine Person nachgedacht. Aber na klar ... ich sollte mich auch einmal in die andere Person hinein versetzen.

Wenn mich bestimmte Menschen immer oder schon viele Jahre ausschließlich als Mann kannten, dann muss ich mich natürlich auch mit diesen Menschen beschäftigen, ich kann nicht egoistisch nur meine Sicht der Dinge sehen und voraus setzten und erwarten das meine Umwelt mich nun selbstverständlich so zu akzeptieren hat wie ich bin.

Nach dieser Unterhaltung zwischen meinem Cousin und mir, welche bestimmt noch nicht beendet ist werden mir die Schwierigkeiten klar die Menschen haben müssen, die einen immer nur als Mann kannten. Ich war immer nur auf mich fixiert, das ich so akzeptiert werden will wie ich nun bin. Aber ich muss auch die Situation der anderen berücksichtigen, die Schwierigkeiten und Ängste welche Andere nun mit mir haben, egal in welcher Situation.

Um noch einmal auf eine mögliche Konfrontation in der U-Bahn zurück zu kommen. Eine Frage die niemals gestellt worden wäre, früher hätten wir uns in so einer Situation nur kurz angeschaut und dann Bums. Gestern habe ich meinem Cousin gesagt das ich versuchen würde mich in solch einer Situation zurück zu ziehen, klein beizugeben und der Konfrontation ausweichen würde.

Es stimmt also nicht, wenn ich zu anderen immer sage ... ich bin doch trotzdem noch der Alte so wie Du mich kennst, ich habe mich doch nicht verändert. Doch ich habe mich verändert, ich gestehe Schwäche ein und würde in der U-Bahn lieber weglaufen. Nicht so wie früher ... Bums.

Na wie dem auch sei ... ich habe nun keine Bedenken mehr, das mein Cousin kein Verständnis für mein Frau-sein hat und ich freue mich schon auf den ersten gemeinsamen Zug um die Häuser.

Es zeigt wie wichtig das persönliche Gespräch ist. Nur mit Offenheit und klaren Worten können Vorurteile und Ängste beseitigt werden. Und Schluss endlich, unter dem Strich stellt sich dann heraus ... keine Panik, ich bin ja doch noch irgendwie der Alte ...
Gott sei Dank ;-)

1 Kommentar:

  1. Hallo Tinka
    Leider habe ich deinen Blog erst jetzt beachtet. Ich finde es TOLL das Du deine Geschichte aufschreiben tust und wünsche Dir für deinen weiteren Weg all die Kraft und Liebe dieser Welt.

    Deine Freundin Ramona

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